Cassini-Huygens’ große Reise zum Saturn

Die letzten 13 Jahre war sie dem Saturn ein treuer Begleiter, besuchte seine Monde, erkundete seine Ringe. Jetzt fliegt Cassini dorthin, wo noch nie ein menschengemachtes Flugobjekt gewesen ist. Die Sonde taucht in die oberen Schichten des Saturns ein. Für Bilder ist da keine Zeit mehr. Stattdessen stehen Schwerkraft, Magnetfeld und Zusammensetzung der Atmosphäre auf dem Plan. In Echtzeit sendet Cassini alles zur Erde, was sie vor ihre Sensoren bekommt. Dabei kämpft die Sonde gegen die Reibungskräfte an und hält, solange es nur geht, die große Parabolantenne in Richtung Erde. Dann sind ihre Belastungsgrenzen überschritten. Cassini verstummt. Fast 1,5 Milliarden Kilometer fern der Heimat endet die Reise der Sonde und sie verglüht in der Saturnatmosphäre.
"Einen Mond des Saturns [Titan] habe ich selbst kürzlich entdeckt, den hellsten und bis auf einen anderen auch äußersten Mond; diesen habe ich 1655 mit meinen Ferngläsern als erster gefunden. Die übrigen hat Herr Domenico Cassini durch überaus fleißige Beobachtungen entdeckt."
Cosmotheoros, Christiaan Huygens
Der Saturn war bereits in der Antike bekannt. Der erste Mensch, der ihn durch ein Teleskop beobachtete, war aber Galileo Galilei im Jahr 1610. Ihm fielen auch die „Ohren“ oder „Arme“ zu beiden Seiten des Planeten auf. Dass es sich dabei natürlich nicht um kosmische Körperteile, sondern um einen frei im Raum schwebenden Ring handeln müsse, erkannte der niederländische Astronom, Physiker und Mathematiker Christiaan Huygens 1659. Er war es auch, der den ersten Saturnmond entdeckte – Titan.
Giovanni Domenico Cassini, ein französischer Astronom und Mathematiker italienischer Abstammung, erhöhte die Zahl der bekannten Monde in den Folgejahren. Er entdeckte Iapetus (1671), Rhea (1672), Dione (1684) und Tethys (1684). Und er erweiterte das Wissen um die Ringe. Denn Cassini erkannte, dass es sich nicht um einen, sondern gleich um mehrere handeln müsse. Die große Lücke zwischen A- und B-Ring trägt deshalb heute seinen Namen. Auch in den folgenden Jahrhunderten blieb der Saturn ein beliebtes Objekt für Astronomen. Und dann bekam er Besuch: Am 1. September 1979 passierte die Raumsonde Pioneer 11 den Planeten in 21.000 Kilometer Entfernung. Gut ein Jahr später, am 11. November 1980, folgte Voyager 1 und am 25. August 1981 hatte auch ihre Schwestersonde Voyager 2 ein Rendezvous mit dem „Herrn der Ringe“. Die Bilder und Daten, die damals das Kontrollzentrum der NASA erreichten, erweiterten das Wissen um den Gasriesen enorm und machten Lust auf mehr.
Über den Atlantik hinweg verständigten sich NASA, ESA und die italienische Raumfahrtagentur ASI auf eine gemeinsame Mission. Von amerikanischer Seite sollte dafür ein neues Konzept zum Tragen kommen: Mariner Mark II, ein Standard-Bus, der je nach Reiseziel mit verschiedenen Instrumenten ausgerüstet werden konnte. Das sollte Synergien schaff en und die Kosten für Missionen in die Weiten des Sonnensystems beträchtlich senken. Dann kürzte der US-Kongress die Mittel und ein neuer NASA-Direktor trat mit dem Motto „faster, better, cheaper“ seinen Dienst an. Cassini-Huygens drohte den Kürzungen zum Opfer zu fallen und erst ein beherzter Brief des ESA-Generaldirektors Jean-Marie Luton an den US-Vizepräsidenten Al Gore, an den amerikanischen Außenminister und an die NASA-Führung konnte das Blatt wenden. Fünf Jahre später, am 15. Oktober 1997 um 10:43 Uhr Mitteleuropäischer Zeit, traten die Sonde Cassini und die Landeeinheit Huygens ihre Reise an der Spitze einer Titan-IVB-Rakete an.
Huygens lüftet Titans Schleier
Mit rund 18.000 Kilometern pro Stunde dringt Huygens in Titans Atmosphäre ein. Von der gut 1.270 Kilometer tiefer liegenden Oberfläche ist noch nicht viel zu erahnen. Zu dicht ist der Schleier aus Methan und höheren Kohlenwasserstoff en, der den zweitgrößten Mond im Sonnensystem umschließt. Die Gashülle zerrt am Eindringling von der Erde, reibt an seinem Hitzeschild, bringt ihn zum Glühen und bremst der Lander in nur vier Minuten auf 1.400 Kilometer pro Stunde ab.
Nun liegen nur noch etwa 180 Kilometer zwischen ihm und dem Boden der fremden Welt. Ein kleiner Fallschirm öff net sich, reißt die Abdeckung auf der Rückseite mit sich fort und zieht den 8,3 Meter großen Hauptfallschirm heraus. Der Hitzeschild wird abgesprengt. Das ist das Startsignal für die sechs Instrumente an Bord, mit ihrer Arbeit zu beginnen. Gut 80 Kilometer über dem Boden zerren Scherwinde an den kleinen Lander. Huygens gerät ins Trudeln, fängt sich aber wieder. Erst 20 Kilometer über der Oberfläche lichtet sich der Schleier aus Methanwolken durchsetzt mit feinsten Tröpfchen und Partikeln organischen Materials. Eine 20-Watt-Lampe taucht die Szenerie in ein schwaches Licht. Dann setzt Huygens auf Titan auf. Der Blick durch sein Roboterauge ist verwirrend und vertraut zugleich. Kein See aus flüssigem Methan, keine exotischen Formationen, dafür eine rote Ebene durchsetzt mit kleinen „Steinen“.
"Trotz der großen Unterschiede bei Temperatur und anderen Umweltbedingungen ähnelt der Titan der Erde mehr als jeder andere Himmelskörper im Sonnensystem."
Rosaly Lopes, Jet Propulsion Laboratory, Pasadena
Die Landung auf Titan war ein großer Erfolg, zu dem es beinahe gar nicht gekommen wäre. Schuld war ein fast schon banaler Fehler im Kommunikationssystem, der erst im Jahr 2000 auffiel. Die Ingenieure hatten schlicht und einfach den Doppler-Effekt außer Acht gelassen. Zur Erinnerung: Bewegen sich Sender und Empfänger relativ zueinander, verschiebt sich die Frequenz des Signals. Cassinis Empfänger war aber nur für einen gewissen Frequenzbereich empfänglich. Ohne den Doppler-Effekt zu berücksichtigen, hätte diese Bandbreite ausgereicht, um Huygens’ Daten während des Abstiegs zu empfangen. Durch die Frequenzverschiebung lagen aber nun knapp 90 Prozent der Signale außerhalb Cassinis „Hörbereich“. Im Juli 2001 kam dann die rettende Lösung: Während Huygens’ Landung auf Titan sollte Cassini weiter als gedacht am Mond vorbeifliegen. Der Fly-by erhöhte die Geschwindigkeit der Sonde – aber eben nicht so stark, wie ursprünglich geplant. Damit fiel auch die Frequenzverschiebung geringer aus und die Kommunikation zwischen Lander und Sonde war gerettet.
Ein zweites Kommunikationsproblem blieb indessen unentdeckt. Als am 14. Januar 2005 die Daten von Huygens’ erfolgreicher Landung die Erde erreichten, war einer der beiden Kommunikationskanäle leer. Was war geschehen? Da der Sender des Landers über zwei Kanäle verfügte, konnten entweder alle Daten doppelt gesendet werden – das war der sichere Weg. Oder es konnten mehr Daten parallel auf die Kanäle aufgeteilt werden – das war der mutigere Weg. Die Wahl fiel auf Weg zwei. Dass bei Cassini aber nur die Hälfte aller Bilder – 350 statt 700 – ankamen und alle Daten der Windmessung verloren gingen, hatte eine simple Ursache. Der Befehl, Kanal A einzuschalten, war in der Kommandosequenz vergessen worden. Cassini war auf einem seiner Ohren taub. Zum Glück für die Wissenschaft sendete Huygens aber trotzdem auf beiden Kanälen. Auf der Erde verfolgten die riesigen Antennen des Deep Space Networks die Landung und konnten einen Teil der Daten auffangen. Daraus ließen sich zumindest die Windmessungen rekonstruieren.
Blick in eine kosmische Schatztruhe
17. Februar 2005: Cassini ist unter Beschuss. Die Treffer, die der Staubdetektor registriert, gehen in die Tausende. Zum Glück sind die meisten Wassereiskristalle nur 0,5 bis 2 Mikrometer winzig. Hier in unmittelbarer Nähe des Mondes Enceladus schlägt auch das Magnetometer an und meldet eine Wolke ionisierten Wassers. Könnte der Mond eine Atmosphäre haben? Fünf Monate und eine Kurskorrektur später geht Cassini dem Phänomen erneut auf den Grund. Rund 175 Kilometer über dem Südpol des Mondes gibt es erneut Anzeichen einer Atmosphäre, die aber nur regional zu bestehen scheint. Der Grund: Geysire schießen Fontänen in den Himmel über Enceladus. Für deren genaue Analyse ziehen zehn weitere Jahre ins Land. Nur 50 Kilometer über Enceladus‘ Oberfläche taucht Cassini im Oktober 2015 in eine der Fontänen ein und findet Wasser, Ammoniak, Kohlendioxid und Methan. Ein Teil des Gemisches rieselt als Schnee auf den Mond herab und tilgt Spuren von Einschlägen oder Erosion. Ein anderer Teil füttert die Ringe des Saturns. Doch was speist die Geysire? Alle Zeichen deuten auf einen mondumspannenden Ozean unter einem dicken Panzer aus Eis hin. Erkenntnisse, die Astrobiologen aufhorchen lassen.
"Jeder Saturnmond ist ein einzigartiges Juwel im majestätischen Geschmeide des Planeten."
Kingdom of Saturn: Cassini‘s Epic Quest, XiveTV
Den Saturn trennen im Mittel rund 1,43 Milliarden Kilometer von der Sonne. Damit ist er fast zehn Mal weiter von unserem Zentralgestirn entfernt als die Erde. Nur etwa ein Prozent des Sonnenlichts in Erdnähe erreicht den Saturn und damit auch Cassini. Solarzellen zur Energieversorgung waren deshalb keine Option. Knapp 600 Quadratmeter Solarpanels, so hatte es die NASA berechnet, wären nötig gewesen – zu groß, als dass sie für den Start in eine existierende Nutzlastverkleidung gepasst hätten. Außerdem wären die 1.300 Kilogramm Extramasse zu Lasten der Experimente gegangen und der komplizierte Entfaltungsmechanismus hätte die Fehleranfälligkeit drastisch erhöht.
Die Lösung waren Radioisotopengeneratoren, sogenannte RTGs. Die reisten bereits mit Pioneer 10 und 11, den Voyager- Zwillingen und Galileo ins äußere Sonnensystem. Im Inneren des Generators setzt der radioaktive Zerfall des Plutoniumisotops 238 stetig Wärme frei. Diese wandelt ein Thermoelement in elektrische Energie um. In Cassini stellten drei der Aggregate zusammen 885 Watt zur Verfügung, die bis zum Sturzflug in den Saturn auf 605 Watt sanken. Zusammen mit den 85 Heizelementen auf Cassini und 35 auf Huygens, die ebenfalls durch radioaktiven Zerfall betrieben wurden, trug Cassini knapp 30 Kilogramm Plutonium mit sich herum.
Eine Menge, die auf der Erde für ziemlichen Wirbel sorgte. Denn durch die Luft oder mit der Nahrung aufgenommen, ist Plutonium ein potentes Gift. Der Aufschrei in der Öffentlichkeit war also vorprogrammiert. Protestmärsche wurden organisiert, Petitionen eingereicht und Horrorszenarien ausgemalt, an deren Ende mehrere Zehnmillionen Menschen ihr Leben lassen würden. Einen katastrophalen Unfall konnte die NASA freilich nicht ausschließen. Doch sie hatte vorgesorgt. Denn das Plutonium liegt in RTGs nicht als Metall, sondern als keramisches Plutoniumdioxid vor. So kann es bei einem Unfall zwar in Stücke brechen, aber nicht verdampfen. Auch war es nicht als großer Block an Bord, sondern als kleine, in Iridium gehüllte Pellets. Das verringerte die Bruchgefahr. Vier Pellets gehörten zu einem Modul, 18 Module zu einem RTG. Eine zusätzliche Abschirmung aus Iridium sollte im Falle des Falles großen Kräften, Hitze und chemischen Reaktionen widerstehen und ein Mantel aus Graphit als Hitzeschild dienen.
Kinderstube für Monde und ein sechseckiger Sturm
30. Juni 2004: Die Hauptantenne wie einen Schild schützend vor den Körper gedreht, stürzt sich Cassini am frühen Morgen in die Ringebene des Saturn. Die gut 30.000 Kilometer große Lücke zwischen F- und G-Ring wurde mit Bedacht gewählt. Trotzdem zählt Cassini bis zum Ende des Tages noch mehr als 200.000 Kollisionen. Zum Glück sind die meisten Staub- und Eisteilchen wahre Winzlinge; allenfalls „Feinstaub“, nicht viel größer als zehn Mikrometer. Nur die größeren „Brocken“, mit 0,1 Millimetern so dick wie ein menschliches Haar, hinterlassen einige Kratzer im „Lack“. Ein kleiner Preis für das, was Cassini zu Gesicht bekommt. Denn nach siebenjähriger Reise bringt sie der Einschuss in Saturns Umlaufbahn dem Gasriesen bis auf 15.000 Kilometer nahe. Zwei Mal kreuzt sie dabei dessen Ringebene. Die wissenschaftlichen Instrumente laufen auf Hochtouren. Die Bilder stellen alles Bekannte in den Schatten.
"Wir könnten hier Zeuge einer Geburt sein und sehen, wie das Objekt gerade die Ringe verlässt und zu einem eigenständigen Mond wird."
Carl Murray, Queen Mary University London
Das Ringsystem entpuppt sich seit Cassinis Besuch als planetare Kinderstube. Dass Monde innerhalb der Ringe ihren Weg frei von Staub und Eis geräumt haben, war bekannt – zum Beispiel Pan, der seine Bahn in der Encke-Lücke des A-Rings zieht oder Daphnis in der Keeler-Lücke. Dass sich aber immer noch Teilchen zusammenballen und so zumindest temporär einen neuen Mond bilden können, das war neu. Störungen am Rande des A-Rings deuteten auf eben jenes Ereignis hin. Rund einen Kilometer Durchmesser könnte Peggy, so der inoffizielle Name des Objektes, haben und Aufschluss über die Prozesse geben, die in der Jugend des Sonnensystems zur Bildung der Himmelskörper führten.
Während die Ringe des Saturns zur Spielwiese für Planetologen geworden sind, verfolgen Atmosphärenforscher aufmerksam das Wetter auf dem Gasriesen. Durch dessen Atmosphäre wirbeln regelmäßig mächtige Stürme. Ende 2010 geriet ein sogenannter Supersturm ins Visier von Cassini. Die Messgeräte registrierten mehr als zehn Blitze pro Sekunde, zehnmal mehr als bei einem gewöhnlichen Sturm auf dem Saturn. Auf der Nordhalbkugel des Planeten untersuchte Cassini ein Wetterphänomen, das die Wissenschaft bereits seit Voyagers Besuch beschäftigt. Wolken drehen sich dort in Form eines riesigen Sechsecks oder Hexagons in dessen Mitte sich ein gewaltiger Wirbelsturm bewegt. Warum das Gebilde die ungewöhnliche Form annimmt und anders als irdische Wetterereignisse auch nach Jahrzehnten noch existiert, ist noch nicht vollständig verstanden. Die Daten, die Cassini bis zu seinem feurigen Ende zur Erde gesendet hat, werden aber noch das eine oder andere Puzzleteil ergänzen.